Dienstag, 23. Januar 2007

Dans Ma Peau

Frankreich 2002
Farbe 93 Minuten

Regie:
Marina De Van

Darsteller:
Marina De Van;
Laurent Lucas;
Lea Drucker;

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Marina de Vans erschütternd provokatives Drama und erster Debutfilm "Dans ma Peau", zeichnet das Portrait einer Frau die in einer verzweifelten Obsession versucht, eine anscheinend verlorene Verbindung zu ihrem Körper wiederherzustellen.

Esther (Marina de Van) eine junge, erfolgreiche etwa dreißigjährige Marketing-Beraterin, verlässt während einer Party das Haus des Gastgebers und reißt sich im Dunkeln an einem Metallstück einer Baustelle versehentlich die Hose auf, erst später stellt sie ,aufgrund einer Blutspur die offensichtlich von ihr zu stammen scheint, fest, dass sie sich eine tiefe Fleischwunde am Bein zugezogen hat. Sie verlässt mit ihrer besten Freundin und einem Kollegen die Party, aber nur um mit ihnen anderweitig etwas zu trinken und sucht erst Stunden später die Notaufnahme auf, um sich doch noch behandeln zu lassen. Anscheinend kaum verstört durch ihr fehlendes Schmerzbewusstsein und seltsam eingenommen von der neuen Narbe, kehrt sie in ihre Wohnung zurück. Die harmonische Beziehung zu ihrem Freund Vincent und ihre Arbeit die sie selbst zu Hause noch fortführt, bleibt anfangs von ihrer Verletzung unbeeinflusst. Erst später als sie in ihrem Büro in einen Lagerraum schleicht, um ihre bereits heilenden Wunden mit einem scharfen Metallobjekt erneut zu öffnen, zu erweitern und sich zum neue eigene zuzufügen, eskaliert ihr ambivalentes Verhalten auf neuem Niveau. Zunehmend fasziniert gibt sie sich ihrer Obsession hin und findet darin scheinbar Befreiung und Genugtuung, fast wirkt es als ob sie ihren Körper zum ersten mal über das rein Ästhetische hinaus kennen lernt; sie macht den Eindruck als wäre sie sich selbst fremd und würde nicht wissen weshalb sie sich verletzt. Längst lebt sie eine Erfahrung die sie weder mit jemandem teilen noch anderen vermitteln könnte. Ihre Arbeitskollegin (Léa Drucker) und ihr Freund Vincent (Laurent Lucas) reagieren zwar extrem verstört, nachdem sie anfangen ihre Selbstzerstörung ernst zu nehmen. Sie sind jedoch weniger daran interessiert ihr damit zu helfen diese zu bewältigen, sondern bestärken sie in ihrer ablehnenden Haltung nur sich immer mehr zu isolieren und abzuspalten. Esther hat noch Momente in denen sie sich eine letzte Bindung zur Außenwelt zu erhalten sucht, sie geht sogar soweit einen Autounfall vorzutäuschen um gegenüber ihrem Freund Vincent eine Erklärung für ihre Verletzungen zu haben. Als sie eines morgens wach wird und ihren eingeschlafenen Arm, wie ein lebloses Objekt schüttelt, scheint dies bereits den späteren Vorfall bei einem Geschäftsessen vorwegzunehmen. Dort betrinkt sie sich mit Wein und unterlässt es zum Ärger ihres Chefs an der "oberflächlichen" Unterhaltung, mit ihren Klienten über europäische Städte, teilzunehmen. Sie bemerken jedoch nicht, dass Esther sich längst von ihrer Umwelt abgekapselt hat. In einer Wahnvorstellung nimmt sie ihren tauben Arm schon als vollkommen getrennt von ihrem Körper wahr, er liegt wie ein fremdes Stück Fleisch (dargestellt als Prothese) bewegungslos neben ihr. Danach beginnt sie, unter dem Tisch, heimlich und versteckt vor den Anderen, ihrem Arm mit einem scharfen Steakmesser Schnitt- und Stichwunden zuzufügen. Die folgenden Tage vertieft sich ihre Isolation durch ihre aufkommende Unfähigkeit mit der Außenwelt, dem hellen Licht und den vorbei eilenden Menschenmassen, zurecht zu kommen. Sie mietet sich in ein Hotelzimmer ein um ungestört den letzten Schritt von Autodestruktion über Autovampirismus hin zum Autokannibalismus zu vollziehen, gibt dem Zwang nach ihren längst objektivierten Körper zu konsumieren und beginnt Stücke ihrer Haut mit den Zähnen herauszureißen bzw. mit einem Messer herauszuschneiden. Schließlich versucht sie sogar ihre abgeschnittenen Hautfetzen zu konservieren und trägt sie mit sich herum.

Der Titel "Dans ma peau" suggeriert bereits eine Frage nach dem was sich in (bzw. hinter) unserer Haut (bzw. dem Körper) befindet: "Durch meinen Körper bin ich in der Welt und verbunden mit anderen. Wenn ich nicht mehr mein Körper bin, was bin ich dann? Woher kommt das Verlangen wissen zu wollen was der Körper ist und ob ich mich in ihm befinde?" (Marina De Van). "Dans ma peau" untersucht die Verbindung zwischen unseren Körpern und uns Selbst (unserer Wahrnehmung im Allgemeinen) und dem was passiert wenn sich an diesen Bindungen etwas ändert. Durchleuchtet also die verbreitete Auffassung das unsere Körper nur Dinge wären die wir besitzen und nicht immanente Aspekte dessen was wir sind und möchte den Zuschauer dadurch motivieren seine eigene Selbstwahrnehmung kritisch zu hinterfragen.

Nur selten gelingt es Filmschaffenden diese unangenehmen Wahrheiten körperlicher Gewalt und den Ansatz das körperliche Schmerzen (Schönheitschirurgie, Tattoos, Brandings, Piercings etc. also eventuell auch Selbstverstümmelung/ Autodestruktion) und der Umgang damit gültige Ansätze zur Selbsterkenntnis sein können, auf so tiefgehende weise zu veranschaulichen. De Van verweigert sich zudem der Annahme, dass alle von der Gesellschaft als pathologisch klassifizierten Verhaltensmuster unbedingt einen tieferen Auslöser haben müssen, geschweige denn erklärbar wären. Die Frage nach Esthers Motivation lässt deshalb auch viel Spielraum zur eigenen Interpretation. Schließlich ist sie eine erfolgreiche Frau die sich ausgerechnet in dem Moment als ihr Leben auf allen Ebenen eine "positive" Entwicklung erfährt (sie ist dabei mit ihrem Freund zusammenzuziehen und wird befördert), durch eine zufällige Verletzung und der resultierenden Wunde, zum ersten Mal gezwungen sieht mit ihrer eigentlichen Entfremdung umzugehen und ihr "sicheres" Leben aufzugeben.

Es geht also nicht nur darum über den Schmerz ein verlorenes Körperbewusstsein wieder zu finden, sondern auch um eine Kritik an der bestehenden, nur auf funktionellen und materiellen Gewinn ausgerichteten und deshalb das Physische verdrängenden, Konsumgesellschaft, die den Menschen nur noch als objektivierte Ressource betrachtet und der daraus resultierenden Einsamkeit eines sich entfremdeten Selbsts. Diese Art von fragmentierter, nicht bis ins letzte erklärbarer Realität, ist dem Film in einer Zeit der nur auf Kommerz ausgerichteten Unterhaltungsfilme hoch anzurechnen, gehört er doch mit in die neue Art der Filmkunst die sich von rein narrativen Erzählstrukturen löst um ihren Fokus auf psychologische und philosophische Probleme zu richten. Die moralische Konsequenz, ist deshalb eben nicht zwangsweise vom Filmschaffenden, sondern von einem mündigen Publikum zu erbringen.

Ein quälend harter Film der Gewalt intellektuell verarbeitet, anstatt sich dessen nur zur einfachen Unterhaltung zu bedienen. Ein kleines Meisterwerk und eine Offenbarung für Fans des "makabren" intelligenten Dramas von einer jungen, viel versprechenden und sehr talentierten Autorenfilmerin.


Review by Maddox


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